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Die lernende Organisation – Interview mit Martin Mascheski

2021-07-06T15:04:26+02:006. Juli 2021|

Könntest du dich zu Beginn des Gesprächs kurz vorstellen? Was machst du aktuell?

Ich bin Martin Mascheski und studierter Kommunikationsdesigner. Vor dreieinhalb Jahren habe ich Norwin Consulting, eine Unternehmensberatung für agiles Management, in Leipzig gegründet. Wir unterstützen Unternehmen und Teams in der Transformation zu den Themen agiles Arbeiten, neue Arbeitsformen und Arbeiten der Zukunft.

Was zeichnet dich als Berater besonders aus?

Vielleicht lässt sich das am besten aus der Perspektive meiner Kunden formulieren. Sie sagen oft, und das überrascht mich jedes Mal: „Sie reden nicht nur von Agilität, Sie leben das ja auch!“ Und ich denke mir: „ja, was denn sonst?“. Für mich gehört es zum Selbstverständnis, komplett nutzerorientiert zu arbeiten. Und wenn wir in der Zusammenarbeit feststellen, dass wir nicht auf dem richtigen Weg sind, dann baue ich über Nacht auch mal um. Wir müssen uns mit der tatsächlichen Herausforderung des Teams beschäftigen. Dazu gehört auch, das Agile mal für ein bis zwei Stunden zur Seite legen, wenn es notwendig ist. Die Methode ist nicht das Allheilmittel, ich bin ergebnisorientiert, nicht methodendogmatisch.

Du hast bereits einige Erfahrung in der Unternehmensberatung. Worin liegt der Vorteil einer externen Beratung im Vergleich zu internen Lösungen?

Der Vorteil ist, dass ich als Externer nicht den Konzernstrukturen unterworfen bin, mit all den Abhängigkeiten, die in einem Unternehmen existieren, sei es auf der Beziehungsebene oder hinsichtlich wirtschaftlicher Zwänge. Das heißt, wenn Dinge unter der Oberfläche schwelen, kann ich das problemlos aussprechen. Mir droht ja erst mal keine Gefahr. Ich zeige auch ganz gerne auf, dass ein Innovationsteam keine Insel ist. Es gibt Unternehmensziele, Bereichsziele, Teamziele und persönliche Ziele und damit verbunden Vieles, was für die Mitarbeiter*innen nicht sichtbar ist, weil sie Teil des „Systems Unternehmen“ sind und so manchmal das ein oder andere unausgesprochen bleibt. Häufig entsteht dadurch Unklarheit, weil Ziele und Vorstellungen nicht konkret genug formuliert wurden. Auch da können Externe methodisch gut unterstützen, um zu einer klaren Zielformulierung zu kommen. Aber es ist halt auch ganz wichtig, dass ich eben nicht sage, wo es langgeht, weil ich das Unternehmen nicht in dieser Tiefe kenne. Das Wissen und die Kompetenz sind im Haus, es ist nur die Frage, wie wir das Ganze zum Fliegen bekommen.

Du hast gerade gesagt, da arbeitet ganz viel was nicht sichtbar ist. Was meinst du damit genau?

Da sind ganz unterschiedliche Ebenen angesprochen. Zwischenmenschliche Schwierigkeiten zum einen, aber auch Probleme, die aus hierarchischen Strukturen erwachsen und Rollenkonflikte mit sich bringen können. Der beste Fall wäre natürlich, ein Team zu haben, das komplett agil agiert. Aber in vielen Unternehmen arbeiten die Teammitglieder nur temporär agil, das heißt, nur ein gewisser Anteil ihrer Arbeitsstunden ist für agile Projekte vorgesehen, den Rest arbeiten sie „normal“ in ihrem Job. Wenn mein Arbeitsumfeld hierarchisch organisiert ist, dann bin ich Strukturen unterlegen, die im Agilen eigentlich nicht mehr gelten. Da kann es sein, dass ich in der einen Rolle weisungsbefugt bin, in der anderen Rolle bin ich Teammitglied, so dass ich niemandem mehr sagen darf, was er oder sie tun soll. Daher bin ich ein großer Fan davon, von vorneherein zu zeigen, was es heißt, agil zu arbeiten und deutlich zu machen, was es impliziert. Agilität entsteht nicht durch Methoden, sondern durch Arbeitsweisen und die Haltung, die dahintersteht. Das ist ein permanentes Aushandeln und Ausprobieren.

Was sind die häufigsten Probleme, die bei der Einführung und Anwendung agiler Methoden wie Scrum auftreten?

Das häufigste Problem ist die Zeitkomponente. Wenn sich beispielsweise der Markt sehr schnell verändert, können Ängste entstehen, nicht mehr Schritt halten zu können. Daraus kann der Druck erwachsen, selbst auch schneller werden zu müssen. Aber zu lernen, agil zu arbeiten, braucht wahnsinnig viel Zeit. Wir sind sehr stark an lineares Denken gewöhnt im Sinne von „von A nach B geht es da lang“ und Agilität ist ja der komplette Gegenentwurf. Wir denken eher im „Kreis“ und arbeiten mit permanenter Adaption. Es geht darum zu lernen mit Unsicherheit umzugehen und einen Prozess anzunehmen, bei dem wir zwar ungefähr wissen, was das Ergebnis sein soll, aber nicht genau wie wir da hinkommen. Agiles Arbeiten ist ein demokratischer Prozess, da wird viel miteinander gesprochen, ausdiskutiert, neue Arbeitsformen gefunden und reflektiert. Das dauert halt lange.

Der zweite Punkt neben der Zeit ist, dass Agilität von oben mitgelebt werden müsste. Wenn es eine Geschäftsführung gibt, die das Team stört, weil sie sagt „ich entscheide und ihr macht jetzt das folgende“, dann zerschlägt das die Prinzipien agiler Arbeit, die Glaubwürdigkeit und stört den Arbeitsfluss im Team. Die Geschäftsführung müsste mit in den Veränderungsprozess einbezogen werden, um auch an dieser Stelle Akzeptanz zu schaffen. Sie müssten eine neue Rolle akzeptieren, die auf dem Vertrauen beruht, dass das was und wie es im agilen Team getan wird, richtig ist. Bei den Reviews bekommen sie ja dann ein Update und können die Richtung mitgestalten.

Worauf muss man bei der Einführung agiler Methoden ganz konkret achten?

Man sollte vermeiden zu denken, dass das ganz schnell geht. Ein ausschließlich agil arbeitendes Team braucht ein Jahr, ein High Performance Team drei bis vier Jahre, um sich als Team richtig einzuspielen. Deshalb ist es wichtig, die Teams am Anfang nicht mit Erwartungen zu überfrachten. Und Meetings wie die Retrospektive sind nicht verhandelbar. Die müssen stattfinden, auch im notwendigen Umfang und in einer vertrauensvollen Atmosphäre. Vertrauen darauf, dass die Dinge im Raum bleiben, ist auch deshalb wichtig, weil agile Zusammenarbeit sehr persönlich ist. Es geht darum, immer wieder zu fragen, wie es uns geht, wie die Stimmung im Team ist, ob wir wertschätzend miteinander umgehen, aber auch ob wir offen und in der Lage sind, Kritik nicht persönlich zu nehmen. Daher ist auch immer zu empfehlen, die Veränderungen im Team zu visualisieren. Das gleiche gilt für den Projektfortschritt, weil man durch Abstimmungen und Übergaben leicht sehr viel Zeit verlieren kann.
Und am allerwichtigsten ist: Agilität bedeutet nicht, jeder macht was er will. Wie oft ich das schon gehört habe: „ja, wenn wir es nicht klassisch machen, sondern ein bisschen freier, offener, dann machen wir das agil.“ Agilität hat wenige, aber dafür sehr wichtige Regeln, Rollen und Meetings. Diese sind klar definiert und sollten eingehalten werden, da sie sich bereits in vielen Kontexten bewährt haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass genau diese Klarheit uns im Prozess viele Freiheiten erlaubt und wir so schneller zu besseren Ergebnissen kommen.

Gibt es Situationen, in denen du Unternehmen abraten würdest, agile Methoden wie Scrum einzusetzen?

Ja, wenn jede andere Methode ein besseres Ergebnis erzielt. Deshalb frage ich am Anfang immer, was das Ziel ist, wo wollt ihr hin? Und danach überlegen wir uns wie wir da hinkommen. Wenn wir also feststellen, dass die agile Methode dabei hilft, dann machen wir das. Aber wenn das Unternehmen mit einem klassischen Projektmanagement bessere Ergebnisse erzielt, wäre es unnötig, da Irritationen reinzubringen.

Agile Arbeit klingt nach allem was du bisher erzählt hast, ja ziemlich kompliziert. Warum sollte man das überhaupt machen?

Ich kann da nur von mir sprechen und erklären, warum ich das mache. Mich hat das agile Arbeiten befreit. Das letzte Jahr hat uns durch die Corona-Pandemie sehr eindrücklich und manchmal auch schmerzhaft gezeigt, dass man nichts mehr richtig planen kann. Agilität bedeutet für mich, in dieser Veränderung nicht mehr unruhig zu werden. Durch die Art des anders Denkens und Arbeitens habe ich Vertrauen gewonnen. Alles ist geplant, wir wissen für die nächsten zwei oder vier Wochen was wir tun wollen, das bringt wahnsinnige Ruhe rein. Und wenn die zwei Wochen vorbei sind, sortieren wir uns neu, schauen was passiert ist und was als nächstes ansteht. Dadurch können wir einen guten Umgang mit Unruhe und Veränderung finden, auch abseits der Pandemie. Für mich ist das natürlich ein bisschen einfacher, weil ich selbständig bin und mich ohnehin ständig verändern muss. Aber auch Unternehmen kommen ja nicht drum herum. Und die Themen werden immer dringlicher: Klimakatastrophe, Transformation, Generationenkonflikte, Unternehmensnachfolgen, und so weiter. Für mich persönlich ist das alles sehr spannend, ich verstehe aber auch, dass die Geschwindigkeit und die Parallelität der Veränderungen viel Unsicherheit erzeugen. Aus meiner Sicht geht es darum, lernende Systeme zu schaffen, von denen alle partizipieren können, um die Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Wir möchten uns auf diesem Wege bei Martin für die bisherige Unterstützung bedanken und freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit!

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